Johannes Itten
Über subjektives Erleben und objektives Erkennen
„So wie ein Wort erst im Zusammenhang mit anderen Worten seine eindeutige Bedeutung erhält, genauso erhalten die einzelnen Farben erst im Zusammenhang mit anderen Farben ihren eindeutigen Ausdruck und genauen Sinn.“
Johannes Itten
Exponate der aktuellen Ausstellung „Wohin das Auge reicht“ in der hiesigen Kunstgalerie Würth haben mich zum Schreiben dieses Beitrags inspiriert. Genauer gesagt handelt es sich um Werke von Johannes Itten (1888-1967), der als Begründer der Farbtypenlehre gilt, und der schon während meiner Studienzeit eine große Faszination auf mich ausgeübt hat. Er war Maler, Kunsttheoretiker, Kunstpädagoge und Lehrender am Bauhaus in Weimar. Die Ergebnisse seiner lebenslangen Studien wurden 1961 im Buch „Kunst der Farbe“ veröffentlicht. Sein Anliegen war es, das Wissen über die Gesetzmäßigkeiten und Möglichkeiten der Farben einem möglichst großen Kreis von Interessierten zu vermitteln. Ihm verdanken wir das Verständnis, dass Farben individuell empfunden werden. Ich habe mein persönliches Buchexemplar wieder hervorgeholt und staune beim Durchblättern erneut über die Tiefe und Sorgfalt seiner Studien. Es folgt ein kurzer Einblick in seine Lehre anhand der Studienausgabe von „Kunst der Farbe“, die ich allen Kunstliebhabern wärmstens empfehlen kann.
Farbwirklichkeit und Farbwirkung
Johannes Itten versteht unter Farbwirklichkeit das physikalisch und chemisch analysierbare Pigment der Farbe, den Farbstoff. Im Auge und Gehirn des Betrachters entsteht die Farbwahrnehmung, die erst durch Vergleiche oder Kontraste eindeutig wird. Eine Farbe erhält erst durch ihre Beziehung zu einer Nichtfarbe wie Schwarz, Weiß, Grau oder zu einer weiteren oder mehreren Farben ihren Wert. Unter Farbwahrnehmung versteht man die psychologische Wirklichkeit der Farbe.
„Das tiefste und wesentlichste Geheimnis der Farbwirkungen bleibt selbst dem Auge unsichtbar und kann nur mit dem Herzen geschaut werden, denn es entzieht sich der begrifflichen Formulierung.“
Johannes Itten
Harmonie der Farben
Das Zusammenwirken von zwei oder mehreren Farben kann Harmonie oder Disharmonie erzeugen und wird durchaus unterschiedlich empfunden. Durch das Studium der physiologischen Vorgänge beim farbigen Sehen erkannte Itten jedoch eine objektive Gesetzmäßigkeit zur Beurteilung von Farbharmonie: Sobald in einer Farbkomposition von zwei oder mehr Farben Gelb, Rot und Blau in entsprechenden Mengen vorhanden sind, ergeben sie zusammengemischt Grau. Gelb, Rot und Blau können als die Totalität aller Farben gesetzt werden und diese Totalität erzeugt im Auge des Betrachters ein harmonisches Gleichgewicht. Wenn also zwei oder mehrere Farben zusammengemischt ein neutrales Grau ergeben, sind sie harmonisch. Alle anderen Farbzusammenstellungen sind disharmonischer oder expressiver Art.
Der zwölfteilige Farbkreis
Entwickelt wird der zwölfteilige Farbkreis aus den Farben erster Ordnung: Gelb, Rot, Blau. Die Mischfarben, gebildet aus je zwei Farben erster Ordnung ergeben die Farben zweiter Ordnung: Orange, Grün, Violett. Die Farben dritter Ordnung entstehen durch die Mischung einer Farbe erster Ordnung mit einer Farbe zweiter Ordnung: Gelborange, Rotorange, Rotviolett, Blauviolett, Blaugrün, Gelbgrün. Die Farben folgen sich in der Ordnung des Regenbogens und des Spektralfarbenbandes. Itten schreibt: „Solange aber Farbbegriffe nicht genau fixierten Farbvorstellungen entsprechen, solange ist auch keine nützliche Diskussion über Farben möglich. Man muss die zwölf Farbtöne so genau sehen, wie ein Musiker die zwölf Töne seiner Tonleiter genau hört.“
„Das urtümliche Wesen der Farbe ist ein traumhaftes Klingen,
ist Musik gewordenes Licht.
In dem Augenblick, da ich über Farbe nachdenke,
Begriffe bilde, Sätze setze, zerfällt ihr Duft,
und ich halte nur ihren Körper in den Händen.“
Johannes Itten
Die sieben Farbkontraste
Farbwirkungen können durch Kontrastfarben gesteigert oder geschwächt werden. Kontraste entstehen dann, wenn zwischen zwei zu vergleichenden Farbenwirkungen deutliche Unterschiede oder Intervalle bestehen. Unsere Sinnesorgane können nur durch das Mittel des Vergleiches Wahrnehmungen machen.
Farbe-an-sich-Kontrast
Der Farbe-an-sich-Kontrast ist der einfachste der sieben Farbkontraste und stellt an das Farben-Sehen keine großen Ansprüche. Zu seiner Darstellung können alle Farben ungetrübt in ihrer stärksten Leuchtkraft verwendet werden.
Hell-Dunkel-Kontrast
Die polaren Kontraste Hell und Dunkel, Licht und Finsternis, sind für das menschliche Leben und die ganze Natur von grundlegender Bedeutung. Schwarz und Weiß sind in ihren Wirkungen in jeder Hinsicht entgegengesetzt und zwischen beiden liegt das Reich der Grautöne und der Farben. Durch die Beimischung von Schwarz oder Weiß entstehen Tonstufenreihen, die mit jeder reinen Farbe hergestellt werden können. Nimmt man die Blau-Tonreihe, so kann Blau mit Schwarz bis zum Blauschwarz verdunkelt und mit Weiß bis zum Blauweiß aufgehellt werden.
Kalt-Warm-Kontrast
Bei der Betrachtung des Farbkreises zeigt sich, dass Gelb die hellste und dass Violett die dunkelste Farbe ist, das heißt, zwischen diesen beiden Farben liegt der stärkste Hell-Dunkel-Kontrast. Im rechten Winkel zu der Achse Gelb-Violett stehen Rotorange und Blaugrün, das sind die beiden Pole des Kalt-Warm-Kontrastes. Rotorange oder Saturnrot ist die wärmste und Blaugrün oder Manganoxyd ist die kälteste Farbe.
Komplementär-Kontrast
Zwei pigmentäre Farben, die zusammengemischt ein neutrales Grauschwarz ergeben, bezeichnet man als komplementäre Farben. Physikalisch sind zwei farbige Lichter, die miteinander gemischt weißes Licht ergeben ebenfalls komplementär. Im Farbkreis liegen die komplementären Farben diametral gegenüber. Johannes Itten: „Sie sind entgegengesetzt, fordern sich gegenseitig, steigern sich zu höchster Leuchtkraft im Nebeneinander und vernichten sich in der Mischung zu Grau – wie Feuer und Wasser.“
Simultan-Kontrast
Mit dem Simultan-Kontrast bezeichnet man die Erscheinung, dass unser Auge zu einer gegebenen Farbe immer gleichzeitig, also simultan, die Komplementärfarbe verlangt. Sie wird selbsttätig erzeugt wenn sie nicht gegeben ist, entsteht also als Farbempfindung im Auge des Betrachters und ist nicht real vorhanden. Sie kann nicht fotografiert werden.
Qualitäts-Kontrast
Unter dem Begriff der Farbqualität versteht man den Reinheits- und Sättigungsgrad der Farben. Als Qualitäts-Kontrast bezeichnet man den Gegensatz von gesättigten, leuchtenden Farben zu stumpfen, getrübten Farben.
Quantitäts-Kontrast
Der Quantitäts-Kontrast bezieht sich auf das Größenverhältnis von zwei oder mehreren Farbflecken. Er ist also der Gegensatz „viel und wenig“ oder „groß und klein“.
„Schwarz mit seiner tiefen Dunkelheit ist notwendig, um das Leuchten der farbigen Lichter in eine ihnen gemäße Dimension zu setzen. Die helle Strahlkraft des Weiß ist notwendig, um den Farben ihre materielle Kraft zu geben. Zwischen Schwarz und Weiß pulsiert die farbige Erscheinungswelt. Solange die Farben der Objektwelt verhaftet sind, können wir sie wahrnehmen und ihre Gesetzmäßigkeiten erkennen. Ihr innerstes Wesen bleibt unserem Verstand verborgen und kann nur intuitiv erfasst werden. Deshalb können Regeln und Gesetze nur Orientierungstafeln sein auf dem Weg zur Schaffung eines farbigen Kunstwerkes.“
Johannes Itten
Und was hat das Ganze mit Webdesign zu tun?
Johannes Itten haben wir das Verständnis der subjektiven Farbwahrnehmung zu verdanken. Die moderne Farbpsychologie beschäftigt sich mit der Wirkung von Farben auf den Gemütszustand, der nicht nur die Gefühle sondern auch das Handeln von Menschen beeinflusst. Farben haben tiefgreifende Wirkungen, ob man sich dessen bewusst ist oder nicht. Daher sollte man sich bei der Farbwahl für eine Website im Klaren darüber sein, welche Werte das Unternehmen vermitteln möchte. Lesen Sie mehr über den Einsatz von Farben im Webdesign.
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